Friedhelm Rathjen: Der Bote ist gegangen – Jörg Drews 1938 - 2009
Jörg Drews ist der „Bargfelder Bote“, der „Bargfelder Bote“ ist Jörg Drews, so ist es seit mehr als dreieinhalb Jahrzehnten – so war es, müssen wir jetzt sagen, denn die Gleichung geht nicht mehr auf, weil Jörg Drews nicht mehr da ist. Am 3. März dieses Jahres starb er an Herzversagen. Ausgerechnet. Mit dem Herzen dabei war er doch immer, ganz gleich, was er machte, und er machte immer eine ganze Menge. Siebzig Jahre ist er geworden, auch das ist unbegreiflich, Jörg Drews war doch immer jung, dachte jung, begeisterte sich und andere wie ein ewig Junger.
Blutjung in des Wortes wahrster Bedeutung war Jörg Drews, nämlich sechzehn, als er auf die Bücher Arno Schmidts stieß; fortan drang er systematisch in sie ein und begann schließlich, darüber zu schreiben. Im August 1963 erschien sein Artikel „Arno Schmidt: Außenseiter oder Mittelpunkt?“ in dem Studentenblatt „Civis“, ausgerechnet einer „CDU=Illustrierten“, wie Schmidt naserümpfend feststellte, nicht ohne allerdings zuzugestehen, der Artikel sei „ganz vernünftig, z. T. sogar sehr klug“. Es folgte Schmidts Einladung, und fortan war Jörg Drews mehr als jeder andere der Bote, der zwischen Bargfeld und der Welt vermittelte. Die Gründung der Zeitschrift mit dem sinnreichen Titel „Bargfelder Bote“ und der hübschen Abkürzung „BB“, deren erste Nummer im September 1972 erschien, war da nur der folgerichtige übernächste Schritt.
Das, was Jörg Drews mit dem BB für das Werk Arno Schmidts zuwege gebracht hat, wäre als Lebensleistung eines Literaturwissenschaftlers mehr als genug gewesen – aber nicht für diesen Literaturwissenschaftler, der ohnehin nie nur Wissenschaftler war, sondern sich mit Lust auf alle Tätigkeiten stürzte, die sich in Zusammenhang mit der Literatur nur denken lassen. Als Hochschullehrer, Kritiker, Journalist und Juror beschäftigte er sich nicht einfach nur mit der Literatur, sondern er stritt für sie, immer mit Verve und vollem Einsatz, und ganz besonders stritt er für die Autoren, die er liebte; Arno Schmidt war einer von ihnen, vielleicht der wichtigste, aber vielen anderen Autoren, toten wie quicklebendigen, war Jörg Drews ebenso kompromisslos zu Diensten. Die Literatur konnte auf ihn zählen, immer.
Wie mitreißend er an der Uni unterrichtete, wissen nur seine Schüler (von denen viele für den BB geschrieben haben und einige es weiter tun werden); vorstellen können wir anderen es uns auch, denn Jörg Drews spielte keine Rollen, er war immer der, der er war. Seine angenehm lockere Art verführte bisweilen zu dem Irrglauben, hier nehme es einer nicht so genau, aber das Gegenteil ist richtig: Jörg Drews hasste Geschwafel, war immer ein Freund des präzisen, des scharfen Hinschauens und scheute auch die Arbeit nicht, die diesen genauen Blick erst ermöglicht. Wenn es nach den Projekten ginge, die er im Kopf hatte, hätte er zweihundert Jahre alt werden müssen und wäre doch nicht fertiggeworden.
Fortan kann der „Bargfelder Bote“ nicht mehr mit Jörg Drews identisch sein, doch bleibt er für immer sein Kind. Das angemessenste Zeichen des Dankes, den wir Jörg Drews schulden, besteht darin, den BB in seinem Sinne leben zu lassen. „L’chaim!“ – „Righto!“
Friedhelm Rathjen: Der Bote ist gegangen – Jörg Drews 1938-2009. In: Bargfelder Bote (Lfg. 317/318, Mai 2009)