Tilman Krause: Der Germanist und literarische Netzwerker Jörg Drews ist tot
Von den umtriebigen Germanisten seiner Generation war er gewiss der umtriebigste: Jörg Drews. Jetzt ist der gebürtige Berliner, der seit 1973 und weit über seine Emeritierung hinaus als Professor für Literaturkritik und Literatur des 20. Jahrhunderts in Bielefeld wirkte, in seiner ostwestfälischen Wahlheimat im Alter von 70 Jahren an Herzversagen gestorben.
Unter den Menschen unseres Landes, die professionell mit Literatur zu tun haben, gibt es wohl keinen, der ihn nicht kannte. Wer ihn nicht als ausstrahlungsstarken akademischen Lehrer erlebte, konnte ihm als kundigem Rezensenten vor allem in der „Süddeutschen Zeitung“ begegnen, für die er auch in seinen Anfängen als Feuilleton-Redakteur gearbeitet hat. Man kam auch unvermeidlich mit Jörg Drews in Berührung, wenn man Arno-Schmidt-Fan war. Kein Hochschullehrer hat sich so eingesetzt und forschend dem großen Einsamen in der Lüneburger Heide gewidmet wie dieser Gründer eines Arno-Schmidt-Dechiffriersyndikats und Herausgeber eines Arno Schmidt gewidmeten Periodikums namens „Bargfelder Bote“. Mit Arno Schmidt ist man denn auch bei den literarischen Vorlieben dieses passionierten und passionierenden Lesers, der nicht müde wurde, auch in einer Vielzahl von Gremien, Jurys und literarischen Foren für seine Lieblinge zu werben.
Es waren die als schwierig geltenden, die experimentellen, die im Geiste einer avantgardistisch verstandenen Moderne stehenden Autoren wie die Schmidt-Zeitgenossen Ernst Jandl und H. C. Artmann, für die Drews‘ Herz schlug. Es waren aber auch die wenig beachteten Autoren, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eben diese Bewegung mit aus der Taufe heben halfen wie Albert Ehrenstein, dem Drews‘ Dissertation von 1966 gewidmet war. Oder, historisch noch weiter zurück, der „Spaziergänger nach Syrakus“, Johann Gottfried Seume, ein Demokrat im Zeitalter des Feudalismus, dessen halb vergessenem Werk Drews durch Gründung einer Seume-Gesellschaft neuen Auftrieb einzuflößen hoffte. Solcher und ähnlich einzuordnender Autoren gedachte Drews immer wieder in der von ihm mitherausgegebenen Reihe „Frühe Texte der Moderne“. Ein Polyhistor und nie erlahmender Netzwerker ist gegangen, der auf dem literarischen Feld eine empfindliche Lücke hinterlässt.
Tilman Krause: Der Germanist und literarische Netzwerker Jörg Drews ist tot. In: Die Welt, 6.3.2009.