Katrin Hillgruber: Jörg Drews. Der Freimütige
Der Schalk hatte sich in seinem Nacken dauerhaft wohlgefühlt, vor allem wenn er Dichter der sprachverliebten Wiener Gruppe zitierte. Zum Tod des Germanisten und Publizisten Jörg Drews
Der Schalk hatte sich in seinem Nacken dauerhaft wohlgefühlt, vor allem wenn er Dichter der sprachverliebten Wiener Gruppe zitierte. Witzig, scharfsinnig und von programmatischer, aber freundlicher Angriffslust – so hatten nicht nur die Bielefelder Germanistik-Studenten ihren Professor Jörg Drews erlebt, sondern genauso seine Kolleginnen und Kollegen von der Literaturkritik. Der Schalk hatte auch dem baltischen Publizisten Garlieb Merkel im Nacken gesessen, etwa wenn er sich über die Titelsucht in Weimar um 1800 mokierte. 1997 widmete Drews diesem Vorfahren im Geiste ein Symposium im Berliner Literaturhaus, das zur Wiederentdeckung des „in seinen Urteilen treffsicheren Cholerikers“ (Drews) führte.
Gebildete und vor allem unbefangene Leser hatte sich auch Jörg Drews bei seinen unerschrockenen literarischen Erkundungen zur Seite gewünscht und wusste sie durch seine unerhörte publizistische Produktivität zu gewinnen. Die Literatur samt ihren sprichwörtlichen „Erregungen der Schrift“ war für ihn ein einziges großes Abenteuer. Nach der Promotion über den Expressionisten Albert Ehrenstein 1966 kam der gebürtige Berliner als Redakteur zur „Süddeutschen Zeitung“. 1974 erhielt er einen Ruf als Professor für Literaturkritik und Literatur des 20. Jahrhunderts an die Reformuniversität Bielefeld. Mit vorbildlicher Leidenschaft setzte er sich für seine Lieblingsautoren ein: den Spaziergänger Johann Gottfried Seume, den Tagebuchvirtuosen Walter Kempowski, die großartig vertrackte Lyrikerin Friederike Mayröcker, James Joyce und immer wieder für Arno Schmidt. Drews gründete das „Arno Schmidt Dechiffriersyndikat“ und gab mehr als dreißig Jahre lang den „ Boten“ heraus. Seine vielfältigen Interessen und überragenden Kenntnisse dokumentiert die Hommage „Literatur ohne Kompromisse. Ein Buch für Jörg Drews“, die Sabine Kyora, Axel Dunker und Dirk Sangmeister 2003 zu seiner Emeritierung herausgaben. Am Dienstag ist Jörg Drews in Bielefeld im Alter von siebzig Jahren an Herzversagen gestorben; ein immenser Verlust für alle, denen die wahre, die schwierige Literatur am Herzen liegt.
Katrin Hillgruber: Jörg Drews. Der Freimütige. In: Der Tagesspiegel, 5.3.2009.