Ludwig Harig: Mann ohne Winkelzüge. Jörg Drews, der Literaturkenner und Freund, ist tot.
Jörg Drews, der unerbittliche, doch fachkundige und treue Freund, ist gestorben. Schon bei seiner Geburtstagsfeier zum Siebzigsten vergangenes Jahr im pfälzischen Oggersheim war er, von Herzproblemen gestört, nicht mehr der Hansdampf in allen Gassen. Studierter Literaturwissenschaftler, Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1973 Professor an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld, war er lange Jahre Herausgeber des Bargfelder Boten und mit Klaus Ramm und Hartmut Geerken Herausgeber der Reihe Frühe Texte der Moderne.
Es hat wenige gegeben, die mit gleicher Schärfe und Genauigkeit die Methoden der experimentellen Poesie an treffenden Beispielen interpretiert und beurteilt haben. Unvergesslich für Kenner und Anhänger moderner deutscher Literatur ist sein Aufsatz Der Solipsist in der Heide über Arno Schmidt. Bündig beschreibt er darin das Wesen des literarischen Einzelgängers, der alle Erfahrungswahrnehmungen als Bewusstseinsinhalte des eigenen Ichs gelten lässt; unübertroffen bleibt seine Darstellung des von ihm so genannten Sprachdesigners Eugen Gomringer, bleibt auch seine Einladung zu Sprachspielen, die er Claus Bremer gewidmet hat.
Als ich mich anlässlich einer öffentlichen Literaturtagung in Kaiserslautern anschickte, ein paar übergescheite Worte über sorgfältig geordnete Sprachgitter zum Besten zu geben, sagte Jörg unumwunden: „Bleib du lieber bei deinen ineinandergezwirbelten Permutationsketten!“ Ohne Umstände, ohne weitläufige Winkelzüge zu machen, hatte Drews stets den Kern eines literarischen Werks im Blick.
So genügte ihm ein einziger Satz, um sein Interesse am Reiz des Neuen, noch nicht Dagewesenen zu bekunden. Entschieden nahm er Günter Grass gegen kleinmütige Mäkler in Schutz und begrüßte es, „… dass er in der Blechtrommel einen Zwerg erfand, um eine neue und ergiebig funktionierende Erzählperspektive zu gewinnen“. Mir selbst, in den sechziger Jahren mit der Collagetechnik beschäftigt, riet er zur Kunst des Erzählens: Gesegnet sei die Collage, aber das Erzählerische habe doch auch einiges für sich. Damals habe ich Jörgs Rat befolgt, und für diesen Rat danke ich ihm über seinen Tod hinaus.
Ludwig Harig: Mann ohne Winkelzüge. Jörg Drews, der Literaturkenner und Freund, ist tot. In: Die Zeit, Nr. 12, 12.3.2009.