Bettina Schulte: Ein Verführer zur Literatur. Zum Tod von Jörg Drews
Selten hat sich jemand vom Katheder aus so heftig und so leidenschaftlich für seine Sache eingesetzt, die die Sache der Literatur war. Die Verführungskraft seiner Texte, denen man nichts weniger nachsagen kann, als dass sie akademisch waren, war beträchtlich. Wenn er einen Roman, einen Lyrikband entdeckt hatte, den er für gelungen hielt, riss die Begeisterung seine Sätze mit in einen rhythmischen Fluss, der ihren unvergleichlichen Drive ausmachte. Zu Jörg Drews passt dieser Anglizismus – denn nichts war dem Literaturwissenschaftlicher und Literaturkritiker, der fast dreißig Jahre an der Universität Bielefeld lehrte, ferner als deutsche Philologenbehäbigkeit, die sich in der Pflege von Tradition und Kanon erschöpft.
Dafür steht auch sein nie ermüdender Enthusiasmus für die experimentelle Literatur, die zeitlebens sein Mandala blieb. Nicht umsonst gehörte der Autor von „Ulysses“ und „Finnegans Wake “ zu seinen Leitsternen – und der deutsche James Joyce Arno Schmidt selbstredend ebenso. Drews gründete 1972 den nach Schmidts Wohnort in der Heide benannten „Bargfelder Boten“, der es unter seiner Herausgeberschaft auf maßlose 270 Nummern brachte. Auch in der Literaturgeschichte waren es bei aller Liebe zu Goethe nicht die Nationalheroen, auf die er flog. Sondern, nicht zufällig, ein sozialkritischer Autor wie Johann Gottfried Seume, der im „Spaziergang nach Syrakus“ einen ganz anderen Blick auf Italien wirft als der große Weimaraner. 1995 gründete Drews die Seume-Gesellschaft.
Sein Interesse war unbestechlich. Es verbanden sich in ihm ein geschärfter politischer Blick mit einer hohen ästhetischen Lust am Sprachspiel. Ernst Jandl und Friederike Mayröcker gehörten ebenso zu seinen Favoriten wie der politisch wache Werner Fritsch. Seine Neugier auf noch zu entdeckende Autoren war unstillbar. Er gehörte zu den Gründungsjuroren der SWR-Bestenliste und war bis zuletzt ihr Sprecher. Seine literaturkritischen Beiträge erschienen nicht nur in der „Süddeutschen Zeitung“. Auch die BZ durfte ihn über Jahrzehnte zu ihren anregendsten Mitarbeitern zählen. Wer ihn traf, ließ sich von seiner pulsierenden Energie anstecken. Unfassbar, dass sein Herz so plötzlich versagt hat. Am Dienstag ist Jörg Drews im Alter von 70 Jahren gestorben.
Bettina Schulte: Ein Verführer zur Literatur. Zum Tod von Jörg Drews. In: Badische Zeitung, 5.3.2009.