Andreas Platthaus: Neues vom Dechiffrier-Syndikat. Der „Bargfelder Bote“ widmet seine neue Ausgabe dem Germanisten Jörg Drews – und erzählt ein freches Bubenstück.
Der „Bargfelder Bote“ dürfte die kontinuierlichste Zeitschriftenpublikation zum Werk eines einzelnen Autors sein, nämlich dem Arno Schmidts. Begründet im September 1972 durch den Literaturwissenschaftler Jörg Drews hat das Mitteilungsblatt des von ihm ironisch als „Dechiffrier-Syndikat“ bezeichneten Kreises begeisterter Schmidt-Leser selbst den Tod seines Gründers vor neun Jahren überstanden; mittlerweile ist man bei „Lieferung 425-427“ angekommen, die als 48 Seiten starkes Heft mit dem morgigen Publikationsdatum herauskommt.
Es trägt weiterhin den Untertitel „Materialien zum Werk Arno Schmidts“ wie schon seit der ersten Ausgabe, die aber auf dem Umschlag noch auf das Genitiv-S verzichtete, so dass man damals meinen konnte, Schmidt habe selbst als Verfasser daran mitgewirkt, was er aber nie tat. Der aktuelle „Bargfelder Bote“ bietet jedoch eher Materialien zu Jörg Drews, unter anderem Randnotizen aus seinem Handexemplar von Schmidts berühmtem Roman „Zettel’s Traum“, Erinnerungen der Weggefährten vom Dechiffrier-Syndikat und frühe Zeitungsartikel aus Drews’ eigener Feder über die Arbeit des Kreises. Und einen Aufsatz des gegenwärtigen „Boten“-Herausgebers, Friedhelm Rathjen, in dem ein freches Bubenstück von Drews Erwähnung findet.
Der „Spiegel“-Reporter und Schmidt-Kenner Gunar Ortlepp begleitete ihn im Oktober 1971 nach Bargfeld, Schmidts Wohnort, zu einem „Lesertreffen“, das von dem Schriftsteller indes als störend empfunden wurde, wie man den ebenfalls im neuen „Bargfelder Boten“ erstmals abgedruckten Tagebuchnotizen seiner Frau entnehmen kann. Er empfing die Besucher denn auch nicht. Also war Drews die wichtigste Informationsquelle für Ortlepps späteren Artikel im „Spiegel“. Darin wurde als ein Beispiel für die Arbeit des Dechiffrier-Syndikats die Entschlüsselung eines Datums aus „Zettel’s Traum“ genannt, das im wirklichen Leben der Hochzeitstag des Ehepaars Schmidt gewesen sei. Ortlepp nannte konkret den 26. August, obwohl im Roman in typischer Schmidt-Sprache nur von „letzDän AugustTagn“ die Rede ist. Das genaue Datum wird Drews ihm untergejubelt haben, denn der 26. August war gar nicht der Schmidtsche Hochzeitstag, dafür aber Drews’ Geburtstag. Und zwar morgen vor achtzig Jahren. Deshalb also hat sein langlebigstes Kind, der „Bargfelder Bote“, das ihm gewidmete Heft mit dem Publikationsdatum „26. August 2018“ versehen. Zu erschließen ist das nur über Rathjens Anekdote; auch ein Dechiffrier-Syndikat will dechiffriert werden.
Andreas Platthaus: Neues vom Dechiffrier-Syndikat. Der „Bargfelder Bote“ widmet seine neue Ausgabe dem Germanisten Jörg Drews – und erzählt ein freches Bubenstück. In: FAZ, Sa., 24.8.2018, Nr. 197, S. 10.