Jörg Drews: Marion Poschmanns verflixt changierende Novelle über eine verstörende Beziehung
Am Ende ist der Hund tot. Er hatte es noch nicht einmal zu einem Namen gebracht, und das heißt: Die Frau, der er zugelaufen war, hat ihm keinen gegönnt, denn sie wollte ihn gar nicht haben, deshalb blieb und bleibt er „Hund“. Demütig, hartnäckig, ja fast tyrannisch ist er bei ihr geblieben. Es entbrennt ein Kampf um Anerkennung, und den verliert der Hund: Er wird mit Namenlosigkeit bestraft, am Ende irgendwo zwischen Müllbrache und Buschwäldchen angebunden, ausgesetzt und verlassen.
Der Beharrlichkeit des Hundes entspricht aber umgekehrt der langsame Verfall, die schlampige Selbstaufgabe seiner – ja, eben Nicht-Besitzerin, die sich immer mehr „entleert“ fühlt: Sie verkommt, verliert in ihrer Körperwahrnehmung an Kontur, lebt gewissermaßen „grenzenlos“ in einem „grauen Zwielicht“ von halber Depressivität. Könnte man sagen, dass der unverschämte Hund sie in die Verzweiflung getrieben hat? Hat sie ihn verkommen lassen oder er sie? Hat er sie in den Wahn getrieben; hat er sie so in Hundegeruch und Hundefuttergestank eingehüllt, dass sie am Ende selbst „auf den Hund“ kommt, und das heißt auch: dass sie in paranoidem Wahn nur Hunde aller Art in jedem sich bewegenden Schatten sieht und auch wahrhaft in die Knie, sprich: auf allen Vieren geht mit der Behauptung, sie suche im Gestrüpp nur einen verlorenen Schlüssel?
Zerbricht sie an der Anarchie des Hundes oder wird der Hund hinterhältig übermütig, weil sie zu bequem ist, ihn zu erziehen, zu disziplinieren, und deshalb regrediert er – analog dazu, dass sie alle Fassung verliert und in eine Welt der Gerüche sich verliert? Das ist eine verflixt changierende Novelle, eine Studie der unauflöslichen Verstörungen eines Verhältnisses zwischen Herrin und Hund. Irgendwann denkt man: Ach, eine ärgerliche Story von einem zugelaufenen und nun nervenden Hund – aber da gibt es eben diese subkutane Beunruhigung, dies nirgends so recht zum Ausbruch kommende – um ein großes Wort zu wählen – Existenzielle daran, das einen beim Lesen nicht loslässt. Tier-Idolatrie und allerlei Niedliches gibt es hier übrigens nicht; alle Sätze sind kühl ruhig, da wird nirgends die Stimme gehoben.
Vielleicht ist das doch eine Novelle vom Schuldigwerden, und die Strafe bestünde darin, dass die Ich-Erzählerin, die Herrin, sich nun allein und schuldig fühlt in einem Raum, über dem das sommerliche Sternbild des Hundes steht, des Hundes mit dem „gleißend hellen Gesicht“, der vom Himmel herunter sagt: Ich bin halbgöttlicher Natur? Man bleibt herrlich ratlos. Das ist das bisher tiefsinnigste Stück Marion Poschmanns, die bisher zwei Romane und einen Gedichtband publiziert hat und der man noch einiges zutraut.
Jörg Drews: Marion Poschmanns verflixt changierende Novelle über eine verstörende Beziehung Zu: Marion Poschmann: Hundenovelle. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008. In: Badische Zeitung, 29.11.2008