Jörg Drews: Unglaublich! Es geht gut aus! Iris Hanika: "Treffen sich zwei"
Eigentlich beginnt dieses Buch auf der Rückseite eines anderen Buches. Iris Hanika ließ nämlich den Satz: „Oder es kommt einmal einer“ auf die hintere Umschlagseite ihres letzten Buchs „Musik für Flughäfen“ setzen, als ob der Satz der Absprung sei ins nächste Buch. Dem Flughafen-Büchlein selbst können wir jetzt nicht nachgehen. Denn nun gibt es etwas Wundersameres und Wichtigeres zu berichten. Es treffen sich nämlich zwei, wie der Titel sagt, aber das ergibt nicht nur eine Girlande von Skizzen, Fragmenten, Kurzprosa-Seufzern, was immer mit einer Trennung endet, sondern dieses Treffen von zwei Menschenkindern, die ganz rührende „Liebesleut’“ werden, hat 238 Seiten zur Folge bis zu jenem Moment, da Senta leise heulend vor ihrem Thomas steht und der sagt: „Wir kriegen das schon hin.“ Und also bleiben die wohl beisammen.
Das meldenswerte Kunststück ist dabei erstens, dass dieser Satz wirkt wie das wunderbarste Glücksversprechen, obwohl er doch als Satz medioker ist. Aber der tränendurchnässte Liebeswirrwarr der bindungsscheuen, auch nicht mehr ganz jungen Senta ist so groß, dass sie, als sie ahnt, dass da eine dauerhafte „Liebe“ droht, noch verrenkter und verrückter wird. Dieser Thomas mit den schönen, offenbar leicht schielenden Augen könnte IHR SCHICKSAL sein (Senta denkt das in Großbuchstaben)!
Und man kann das ja auch verstehen, dass ihr diese Überraschung das Herz zusammenkrampft und ihr Kopf wie irre arbeiten muss, um das überhaupt mal zu denken: Sie liest die französischen Theoretiker rauf und runter, und er – ist Systemberater! Was ist das überhaupt? Wie kann man denken, dass solche zwei Leute zusammenpassen? Tun sie ja zunächst zwar, aber irgendwie auch nicht, sowohl gedanklich wie auch, in gewissem Sinn, körperlich. Keine Details hier, das wird sich schon richten, so kann man sich mal missverstehen, und das Tolle ist ja, dass sie in Andeutungen darüber reden können und dann verstehen sie sogar, was sie vorher nicht verstanden.
Das Kunststück ist nun zweitens aber, dass diese Geschichte eine ernsthafte und zugleich ironische Sprache hat: Die Liebe wird nicht weggehöhnt, sondern ihr wird mit Leichtigkeit Tribut gezollt. Keinen Augenblick glauben die beiden so richtig an die „große Liebe“, nur eben: Sie sind mitten drin. Und so taumeln sie aufeinander zu und ineinander, und glaubten wir noch an Wunder, müssten wir sagen: „Oh welch ein Glück! Ein Großstadtmärchen! Es gibt doch noch Wunder!“ Und das begibt sich so strahlend lächelnd, dass man eine Weile jene Zweifel vergisst, die einen doch befallen müssen, wenn man daran denkt, dass 50 Prozent der Ehen in diesem Milieu scheitern.
Aber das ist eben nicht alles in der Welt. Nein, da wird von einem rührenden Glück zweier Tölpel erzählt, durchaus heutiger Tölpel in durchaus heftig-heutiger Sprache – und dann wird auch wieder ganz albern-schwebend erzählt von Momenten, in denen die beiden strahlend und zart einverstanden sind damit, in der Welt zu sein, in diesem Moment in dieser Stadt, und das Tolle ist, dass man mit den beiden sympathisiert und denkt: So geht es manchmal auch, ja, doch, solche Erfahrungen gelungenen Lebens kann man bisweilen schon machen. Und endlich kann ich mich mal lesend mit einer geglückten Liebe amüsieren!
Jörg Drews: Unglaublich! Es geht gut aus! Zu Iris Hanika: „Treffen sich zwei“. Roman. Droschl Verlag, Graz/Wien 2008). In: Badische Zeitung, 5.7.2008.